2. Studieren mit Beeinträchtigungen
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Definition von Behinderung
Das neunte Buch des Sozialgesetzbuchs legt in § 2 fest, was unter Behinderungen in einem jurististchen Sinne zu verstehen ist:
"Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können.
Eine Beeinträchtigung [...] liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht."
Im Kontext der Bildung bedeutet das:
Wenn Menschen aufgrund von Beeinträchtigungen Inhalte nicht erfassen oder Prüfungen nicht erfolgreich bestehen können, wird ihnen die Möglichkeit genommen, am Studium teilzunehmen.
Viele Studentinnen and Studenten haben Schwierigkeiten ihr Studium durchzuführen.
Studierende mit Beeinträchtigungen erfahren noch größere Schwierigkeiten bei der Durchführung ihres Studiums.
- Etwa jede 9. Person, die in Deutschland studiert, hat eine gesundheitliche Beeinträchtigung.
- Etwa jede 11. Person, die in Deutschland studiert, hat einen Schwerbehindertenausweis.
- Die Beeinträchtigungen haben sich ganz überwiegend in der Schulzeit eingestellt.
- Ein großer Teil der Beeinträchtigungen ist nicht sichtbar.
Studierende mit studienerschwerenden Beeinträchtigungen
Laura - 20 Jahre, angstkrank
"Eine gute therapeutische Betreuung hat lange Wartelisten. "
Häufigkeit
Von den gesundheitlich eingeschränkten Studierenden geben laut best2 53% an, von einer psychischen Erkrankung beeinträchtigt zu sein.
Hintergrund
Laura hat eine psychische Erkrankung. Sie hält sich wiederholt länger in Kliniken auf. Dadurch muss sie mehrfach in ihr Studium wiedereinsteigen.
Ihre Beeinträchtigung ist nicht durch Dritte erkennbar.
Technologie
Laura ist nicht auf räumliche oder digitale Barrierefreiheit angewiesen. Sie benötigt keine Hilfsmittel.
Wegen langer Wartezeiten hatte sie bislang keine Chance auf Gesprächstherapie.
Bedarfe
Laura hat Schwierigkeiten mit der Erbringung von Leistungsnachweisen. Laura braucht eine kompetente Ansprechperson.
Ärgernisse
Laura befürchtet Ablehnung, Gleichgültigkeit oder Unverständnis, wenn sie ihre Schwierigkeiten an Dozierende und Verwaltung kommuniziert. Lauras Anträge werden häufig abgelehnt.
Jan - 26 Jahre, depressiv
"Ich brauche meinen eigenen Zeitplan, dann schreibe ich auch gute Noten."
Häufigkeit
Laut best2 geben von den gesundheitlich eingeschränkten Studierenden 53% an, von psychischen Erkrankung beeinträchtigt zu sein.
Hintergrund
Jan erlebt depressive Episoden. Seine Anträge werden jedoch häufig abgelehnt. Seine Beeinträchtigung ist nicht durch Dritte erkennbar.
Technologie
Jan braucht keine assistive Technologien. Jan beansprucht aber intensive Unterstützung von Familie sowie ärztlichem und therapeutischem Personal.
Bedarfe
Jan braucht mehr Flexibilität beim Arbeitspensum und der Prüfungsdichte. Er fehlt krankheitsbedingt oft bei Veranstaltungen. Absprachen in Lerngruppen hält er nicht immer ein und wird wenig in Lerngruppen getragen.
Ärgernisse
Jan muss Abschnitte seines Studiums wiederholen, weil er phasenweise zu Prüfungen und Abgabefristen nicht arbeitsfähig ist.
Er hat erfahren, dass seine Nachteilsausgleichsanträge hin- und hergeschoben werden.
Sina - 22 Jahre, Multiple Sklerose
"Dank der Therapien komme ich in der Uni gut zurecht. Manchmal ermüden mich die Medikamente aber."
Häufigkeit
Von den im Studium gesundheitlich beeinträchtigten Studierenden geben 20% an, dass eine chronische körperliche Erkrankung wie MS oder Reizdarm am stärksten ihr Studium erschwert.
Hintergrund
Lara hat Multiple Sklerose. Sie ist chronisch krank und erleidet zusätzlich Krankheitsschübe. Sie fällt dadurch tage- oder wochenweise aus und dann geht es ihr wieder gut. Sie hat bereits während der Schule ein Jahr wegen der Krankheit verloren. Das durfte sie sich als Wartezeit anrechnen lassen.
Technologie
Lara benötigt noch keine assistiven Technologien. Das kann sich im Laufe der Jahre oder phasenweise ändern, sodass z.B. eine Gehhilfe oder ein Rollstuhl nötig wird.
Bedarfe
Therapie und Reha-Maßnahmen nehmen eine Menge Zeit ein. Anwesenheitspflichten müssen gelockert werden, um das Studium an die gesundheitliche Situation anpassen zu können.
Ärgernisse
Sinas Gesundheitszustand wechselt. Nicht alle Dozentinnen und Dozenten verstehen das. Einige stellen Sinas Zustand in Frage, weil er ihnen nicht eindeutig erscheint.
Anna - 21 Jahre, eingeschränkt beweglich
"Ich muss für Wege zwischen Räumen viel Zeit einplanen. Es nervt, vor kaputten Fahrstühlen zu stranden."
Häufigkeit
Von den gesundheitlich beeinträchtigten Studierenden werden etwa 4% am stärksten von einer Bewegungseinschränkung beeinträchtigt.
Hintergrund
Annas Behinderung wird von vielen Meschen bei der ersten Begegnung erkannt. Sie besitzt einen Schwerbehindertenausweis.
Technologie
Anna braucht Rampen und barrierefreie Toiletten. Sie wünscht sich angepasste Sitzgelegenheiten.
Anna benutzt statt der Maus die Tastatur. Mobiltelefone kann sie nicht oder nur schlecht bedienen.
Bedarfe
Sie trainiert Dragon um Sprachsteuerung nutzen zu können. Das funktioniert noch nicht so, wie sie will.
Ärgernisse
Weite Wege zwischen Veranstaltungen sind schwierig. Oft sieht Anna beim Tabben nicht, wo ihr Fokus ist. Auf Webseiten sind Bäume und Modals oftmals doof zu tabben. Ohne Maus kann sie nicht hovern.
Niklas - 19 Jahre, blind
"Manche Software kann ich nicht bedienen. Ich bleibe stecken oder verliere die Orientierung."
Häufigkeit
Von den gesundheitlich beeinträchtigten Studierenden werden etwa 3% am stärksten von einer Sehbehinderung beeinträchtigt.
Hintergrund
Niklas verliert seit seiner Kindheit stetig an Sehvermögen. Er hat drei Vormittage in der Woche eine Assistenz. Niklas Einschränkung ist nicht ohne weiteres erkennbar, fällt aber nach einiger Zeit auf.
Technologie
Niklas benutzt seit vielen Jahren JAWS. Auf seinem Mobiltelefon nutzt er Speak Screen.
Bedarfe
Niklas möchte gerne alle Webseiten einfach und unkompliziert nutzen können. Komplexe Eingabemöglichkeiten machen ihm große Schwierigkeiten.
Ärgernisse
Viele Überschriften auf den Seiten sind unklar und erlauben nicht abzuschätzen, was ihnen inhaltlich folgt.
Elif - 25 Jahre, hochgradig schwerhörig
"Es ist erschöpft mich, an Veranstaltungen teilzunehmen. Aktives soziales Miteinander ist schwierig."
Häufigkeit
Von den gesundheitlich beeinträchtigten Studierenden geben etwa 3% an, dass eine Hör- oder Sprechbeeinträchtigung am stärksten ihr Studium erschwert.
Hintergrund
Ohne Hörgeräte bekommt Elif wenig von ihrer akustischen Umwelt mit. Elifs Behinderung ist für Dritte nicht ohne weiteres erkennbar.
Technologie
Elif nutzt Text zum Lernen, wenn möglich. Sie benötigt Untertitel für Audio und Video. Elif braucht zum Schreiben eine Rechtschreibkorrektur.
Bedarfe
Elif braucht zwischendurch einen ruhigen Rückzugsort. Sie bedrücken Kontakt- und Kommunikationsschwierigkeiten. Elif findet die Erbringung mündlicher Leistungen und die aktive Teilnahme an Lehrveranstaltungen schwierig.
Ärgernisse
Laute Hörsäle und viele Hintergrundgeräusche schließen Elif vom Unterricht aus.
Leon - 23 Jahre, dyslektisch
"Meine Rechtschreibung ist schlecht, ich lese langsam und vergesse oft, was ich gerade gelesen habe."
Häufigkeit
Von den gesundheitlich beeinträchtigten Studierenden werden etwa 4% am stärksten von einer Teilleistungsstörung wie Legasthenie beeinträchtigt.
Hintergrund
Leon erhielt die Diagnose Dyslexie bereits in der Schule. Leons Problem ist zwar nicht sichtbar für Dritte, aber er hat ein Gutachten. Er hat eine normale Intelligenz und ist nicht lernbehindert.
Technologie
Leon benutzt einen Screenreader, um lange Dokumente zu lesen. Er braucht eine Rechtschreibkorrektur.
Bedarfe
Leon braucht Konsistenz und klare Sprache. Er bittet nicht gerne um Hilfe. Er braucht einen Rückzugsraum, um sich zwischendurch erholen zu können.
Ärgernisse
Formulare kosten Leon viel Zeit. Viel schreiben oder lesen zu müssen strengt ihn an.
Maria - 21 Jahre, durch die Geräte und Umgebung eingeschränkt
"Ich will nicht schleppen und entspannt lesen und nutze meinen E-Book-Reader mit Notizstift."
Häufigkeit
Circa 10 % der Bevölkerung nutzen E-Books. Fast 100 % der Studierenden nutzen ein Smartphone auch als Videoplayer.
Hintergrund
Maria hat keine körperliche Beeinträchtigung, benutzt aber einen E-Book-Reader, der keine Farben darstellen kann.
Technologie
Maria nutzt einen E-Book-Reader. Der ist gesünder für die Augen und viel leichter als ein gedrucktes Fachbuch, ein Tablet oder ein Laptop.
Außerdem nutzt sie ein Smartphone.
Bedarfe
Grafiken für E-Book-Reader müssen nicht nur in Farbe, sondern auch in Graustufen verständlich sein, zum Beispiel über Schraffuren statt Farben oder über starke Kontrastunterschiede. Untertitel in Videos machen Videos auch ohne Ton verständlich.
Ärgernisse
Maria ärgert sich über Diagramme, deren Details auf ihrem E-Book-Reader nicht mehr erkennbar sind. Sie muss dann auf andere Geräte wechseln, die mehr Strom verbrauchen und weniger angenehm zum Lesen sind.